(Überarbeitung und Erweiterung am 12. April 2023)
Am Beispiel eines Artikels in der Thüringer Allgemeinen vom 8. Januar 2013 lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie sich Legenden ohne gründliche Recherche und Vorbereitung hartnäckig halten können und immer wieder weitere Verbreitung finden. Fürs Jonastal ist das leider immer wieder Alltag - dort nur teilweise bewusst und mit Hintergedanken.
Quelle: TA vom 08.01.2013 Landesweit besteht Gefahr durch noch immer scharfe Bomben
Im Aufhänger für den Artikel wurde Folgendes berichtet:
"Die britischen Bomber waren bereits in der Luft - mit Kurs auf Gotha. Die ehrwürdige Residenzstadt erwartete am 4. April 1945 das Ende des Krieges. Die weiße Flagge war bereits gehisst. Die 4. Panzerdivision der III. US-Armee lag mit ihren Kettenfahrzeugen vor der Stadt - und bat die Briten per Funk, beizudrehen...
Es war Rettung in letzter Sekunde. Denn anstelle von Gotha traf es erneut das bereits am Vortag aus der Luft angegriffene Nordhausen. Nahezu die komplette Altstadt lag am Ende des Tages in Schutt und Asche. Rund 8800 Nordhäuser kamen ums Leben..."
Dieser Darstellung muss nach aktuellem Wissenstand vehement widersprochen werden. Belegbar ist der Überflug der Bomber über Gotha am genannten Tag (laut Zeugen ggf. auch über Crawinkel), der Abwurf der tödlichen Fracht über Nordhausen und die Tötung von mehr als 8.000 Menschen. Allein in der Boelcke-Kaserne kamen durch die britischen Bomben auf Nordhausen am 3. und 4. April 1945 ca. 1.300 KZ-Häftlinge zu Tode.
Recherchen von Frau Helga Raschke aus Gotha haben eindeutig ergeben, dass der Angriff von Anfang an für Nordhausen geplant war. "...Schon vom weitem konnten die Gothaer das Dröhnen der Maschinen hören und schauten ängstlich ängstlich zum Himmel. Obwohl die Fliegereinheit von Hauptmann Erich Wendler schon in Auflösung begriffen war, versuchte der Funker nach einem internationalen Schlüssel den Funkspruch zu übermitteln, das Gotha frei von deutschen Truppen sei. Ob der deutsche Funkspruch von den britischen Piloten zur Kenntnis genommen wurde, bleibt unbekannt..." (1)
Diese Überlieferung war die Grundlage für die spätere Legende, die durch weitere Vermutungen im Stille-Post-Prinzip immer weiter verfeinert wurde. Der möglicherweise erfolgreiche Funkkontakt der deutschen Luftwaffe mit der britischen RAF im Zielanflug auf Gotha und das darauf rechtzeitige Abdrehen wurde nie richtig hintergfragt und es wurden keine Beweise oder Gegenargumente gesucht. Ernsthaft zu bezweifeln ist hingegen ein Flächenbombardement einer Stadt durch die britische Royal Air Force (RAF), bei der die alliierten Truppen bereits vor den Toren standen beziehungsweise bei der Einnahme waren. Eigene Verluste wären unweigerlich die Folge gewesen. Helga Raschke schreibt weiter auf Seite 143: "...Doch schon allein der Zeitplan widerlegt die Behauptung: um 9.00 Uhr war die Unterzeichnung der Übergabeerklärung, sie musste danach zur Befehlssstelle, um 9.08 klickte der Masterbomber seine Zielbomben über Nordhausen ab. Wie war es nun wirklich? Den Einsatzbefehl mit Zielort und Zeitpunkt fen den Bombenabwurf erhielten die Piloten beim Start in Südengland. Den Befehl zur Bombardierung von Nordhausen gab das Alliierte Oberkommando bereits am 2. April mit dem Ziel der "Vernichtung hochrangiger Militär- und anderer Nazifunktionäre, die von Berlin in dieses Gebiet" gefüchtet waren. Nordhausen war bereits am 3. April bombardiert worden. Ein zweiter Großangriff war für den 4. April festgelegt." (1) Der Funkspruch aus Gotha gilt als authentisch. Ob er aber von den alliierten Piloten zur Kenntnis genommen wurde, bleibt unbekannt. Die Verschonung der Stadt Gotha durch die RAF Bomber lässt sich mit den verfügbaren Quellen so nicht länger halten. Weiterhin ist es nicht richtig, dass Gotha für diesen Tag das Ziel eines alliierten Flächenbombardements war. Dazu aber in einem späteren Absatz mehr.
Es gilt hingegen als erwiesen, daß bereits am 3. April 1945 in Gotha beschlossen wurde, die Stadt kampflos zu übergeben und weiße Flaggen zu hissen. Nach dem Scheitern der ersten Parlamentärsfahrt entfernte vermutlich SS die weißen Fahnen und die amerikanischen Einheiten begannen wieder mit Artilleriebeschuss und Tieffliegerangriffen. Danach bereitete der Kampfkommandant Oberstleutnant Josef Ritter von Gadolla eine zweite Parlamentärsfahrt vor und lies erneut weiße Fahnen hissen. Zuvor hatte er bereits den einheimischen Volkssturm nach Hause geschickt. 19:00 Uhr fuhr Gadolla in Begleitung mit weißer Armbinde und weißer Fahne den Amerikanern entgegen. Nicht richtig ist übrigens auch, dass er persönlich die Stadt kampflos übergab. Kurz vor Erreichen der Frontlinie wurde er bei Boilstädt von Soldaten des motorisierten Flak-Bataillons 59 abgefangen und verhaftet.
Im Morgengrauen des 4. April 1945 stoppten die Amerikaner den Beschuss auf die Stadt, nachdem erneut die weißen Fahnen auf Schloss und Rathaus gesichtet wurden. Bereits vor dem Überflug der Bomber hatten amerikanische Streitkräfte die Arnoldischule und die Handelsschule in der Eisenacher Straße besetzt, die als Lazarette genutzt wurden. In den Gebäuden wurden 400 verwundete Soldaten zu Kriegsgefangenen erklärt. Ebenfalls in den frühen Morgenstunden kam ein Amerikaner gemeinsam mit einem deutschen Unteroffizier als Dolmetscher ins Rathaus zur Klärung der Übergabe der Stadt. Gespräche zur Vorbereitung wurden erneut in der bereits besetzten Arnoldischule geführt und abschließend zurück im Rathaus eine bedingungslose Übergabeerklärung formuliert. Gegen 9:00 Uhr am Morgen fand die förmliche Übergabe der Stadt an die Amerikaner statt. Obwohl Gadolla selbst die Stadt nicht übergeben konnte, so hatte er als verantwortlicher Kommandant bewusst gegen den Führerbefehl gehandelt und mit diesem Entschluss der Stadt die Zerstörung und den Einwohnern unendliches Leid erspart. Diese beherzte Befehlsverweigerung bezahlte er mit seinem Leben. Der Termin für den Prozess vor dem Standgericht in Weimar wurde auf den Nachmittag am 04. April gelegt. Einen Tag später am 5. April 1945 wurde Gadolla in der Weimarer Mackensen-Kaserne standrechtlich erschossen. (1)
Für die weitere Entzerrung der Gothaer Legende ist die Unterscheidung von Tieffliegern und schwere Bombern sehr wichtig. Zur Legende gehört auch, dass die britischen Bomber angeblich auch die weißen Fahnen auf dem Dach des Schloss Friedensteins und anderen Gebäuden sehen konnten. In der Regel hatten die schweren Bomber eine Anflughöhe von 4.000 bis 6.000 Metern. Aus dieser Höhe ist es meiner Ansicht nach schwierig, einzelne Bettlacken aus der Luft als Zeichen der Aufgabe von Gotha zu erkennen. Bei den Luftangriffen auf Gotha muss man zwingend zwischen den hoch fliegenen Bomber Geschwadern unterscheiden gegenüber den Tieffliegern und US-Jagdbombern, welche durchaus Einzelziele bombardierten und den direkten Vormarsch der US-Tanks unterstützten. Ein Beispiel sind die Angriffe vom 3. April 1945 auf Gotha von US-Jagdbombern, die am Vortag der Kapitulation besonders Kulturbauten bombardierten wie das repräsentative Landestheater am Arnoldiplatz, dass vollständig durch übergreifendes Feuer ausgebrannt sein soll. (2) Diese Tiefflieger fligen ihre Angriffe durchaus koordiniert mit den Bodentruppen.
Der Einsatzbefehl der 5., 8. und 11 Group der britischen Royal Air Force galt bereits vor dem Start der Boelcke-Kaserne und dem Stadtkern von Nordhausen. Ihr vorgegebener Kurs verlief über Marburg, Bad Hersfeld, Bad Salzungen, Tabarz, Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim bis nach Nordhausen. 9:08 Uhr warf dort der erste Masterbomber über der Kaserne die Zielmarkierungsbomben ab und der geplante Großangriff begann.
Quellen
(1) Josef Ritter von Gadolla und die letzten Kriegstage in Gotha, Helga Raschke, 1. Auflage 2007, Seiten 142 - 144 und weitere Seiten
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Gotha