Der Tatort Crawinkel heute vor 74 Jahren – Die Tage vom 7. bis 10. April 1945 kann man ohne Übertreibung auch als die Tage des Jüngsten Gerichts von Crawinkel zusammenfassen. Durch fast ununterbrochene Angriffe wurden mehr als 60 % der Wohngebäude und Scheunen beschädigt oder unbenutzbar. Weitere 21 % aller Gebäude waren wie vom Erdboden verschwunden. In unserem Heimatort gab es ringsum oft nur noch Schutt und Asche, Trauer und Leid.
Heimlich wurde ab 1934 direkt im Wald zwischen Wölfis und Crawinkel eine Munitionsanstalt errichtet, in der ab 1935 Bomben und Munition für die Luftwaffe produziert und gelagert wurden. Am 26. August 1939 fuhren voll beladene Munitionszüge am Bahnhof Crawinkel zu den Einsatzorten für den Angriff auf Polen. Der Zweite Weltkrieg begann und die Abwurfmunition aus der Luftmunitionsanstalt 1/IV Crawinkel brachte von da an Zerstörung, Tod und Elend über die Grenzen des Dritten Reiches hinaus zu unseren europäischen Nachbarn. Das Gelände der L-Muna wurde während des Krieges nicht angegriffen und das „Pulverfass“ mit Munitionsbeständen fiel weitestgehend unversehrt in die Hände der Alliierten. Mit den folgenden Angriffen auf Crawinkel hatte die Muna wie auch die Baustelle im Jonastal nichts weiter zu tun. An Tragik war das folgende Schicksal von Crawinkel aber kaum zu überbieten.
Während Gotha und Ohrdruf mehr oder weniger ohne großen Widerstand Anfang April besetzt werden konnten, erlebte die Crawinkler eine ihrer schwersten Zeiten der Ortsgeschichte. Zerstörung und insbesondere Angriffe aus der Luft ließen die Einwohner die ganze Wucht des Krieges am eigenen Leib verspüren, wie es zuvor Crawinkler Bomben europaweit anrichteten. Gleich nach Ostersonntag am 1. April begann merklich der Rückzug der Wehrmacht und damit auch die Angriffe der amerikanischen Tiefflieger auf die fliehenden Truppen. In Crawinkel fiel die erste Bombe im Bereich des „Hopfen“. In den folgenden Tagen griffen amerikanische Tiefflieger und Jagdbomber immer wieder Die überfüllten Straßen von Oberhof nach Crawinkel, im Ort selbst sowie auf der Straße nach Frankenhain an. Dies war jedoch nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte.
Am 6. April erfolgte die kampflose Einnahme des Nachbarortes Wölfis und es wurde drei Mal vergeblich von Crawinklern versucht, auf dem Kirchturm die weiße Fahne zu hissen. Dies misslang, weil verschiedene deutsche Einheiten den Abzug der Truppen aus dem Rennsteiggebiet über Crawinkel absicherten. Hier bot sich über die Oberhofer Straße fast der letzte Fluchtweg vor einer Einkesselung im Thüringer Wald. Am 7. April erfolgten nicht weiter nennenswerte Angriffsversuche amerikanischer Bodentruppen in Richtung Crawinkel, die von den Verteidigern ohne Mühe abgewehrt wurden. Kurz danach setzte ein verstärktes Bombardement auf den Ort ein, dass nur vom Artilleriebeschuss aus Richtung Gräfenhain/ Ohrdruf unterbrochen wurde. Es fielen die ersten Bomben am Backhausplan, auf die Quergasse, Schenksgasse und Schulgasse. Das war der Beginn einer neuen Offensive, wodurch die ersten Opfer in der Bevölkerung zu beklagen waren. Es gab von da an scheinbar keine Verschonung und Hoffnung mehr.
Am 8. und 9. April setzten sich die Luft- und Artillerieangriffe fast ununterbrochen fort. Es schlugen zusätzlich Phosphorgranaten ein, welche die Erfurter Straße und Teile vom Markt in Brand setzten. Es gab wenig Hilfe und keine Rettung mehr. Das Feuer lief an den Wänden der Häuser herab. Der Ort wurde zusätzlich zum Flammenmeer und zählt seitdem prozentual zu den am meisten zerstörten Dörfern und Städten in Thüringen während des Zweiten Weltkrieges. 208 Häuser und Scheunen waren total vernichtet. 593 Gebäude waren beschädigt oder teilweise zerstört. Die traumatischen Ereignisse verfolgten die Einwohner ein Leben lang. Im Jahr 1999 baute ich ein Haus in der Erfurter Straße. Bei Ausschachtarbeiten stießen wir auf eine Schicht verbrannter Erde. Der Anblick und der sich plötzlich ausbreitende Geruch trieben meiner Schwieger-Oma Irmtraud Böttner augenblicklich Erinnerungen zurück ins Gedächtnis und Tränen in die Augen. Hier an dieser Stelle verbrannte ihr Elternhaus zum Kriegsende. Niemand konnte dies verhindern. Dieses persönliche Erlebnis macht mich bis heute zusätzlich betroffen. Gleichzeitig war Irmtraud aber auch wieder froh, dass ausgerechnet wir hier an gleicher Stelle ein neues Haus errichteten.
Am Abend des 10. Aprils endete gegen 22 Uhr plötzlich der Artilleriebeschuss. Kurze Zeit später rückte eine erste amerikanische Vorhut in der Bahnhofsgegend sowie vom Kienberg aus auf Crawinkel vor. Die letzten deutschen Truppen hatten den Ort bis dahin lange verlassen. Die Amerikaner setzen ihnen in Richtung Frankenhain nach. Wenige Tage später war ganz Thüringen besetzt. Erst ab dem 11. April war das ganze Ausmaß der Verwüstung so langsam zu erfassen. Vergleichsweise nur 12 Crawinkler und weitere Zwangsarbeiter starben durch die Angriffe. Es grenzt an ein Wunder, dass nicht noch mehr Opfer zu beklagen waren. Dies lag vermutlich daran, dass sich viele Einwohner in den Kellern, Wäldern und auch in den Stollen im Jonastal in Sicherheit bringen konnten. Der Krieg schien ab da fast zu Ende, aber ein letztes Mal folgten bange Stunden in Crawinkel. Am 16. April 1945 entgingen die alten Männer und Jugendliche des Ortes ein weiteres Mal nur knapp einer Vergeltungsaktion, nachdem in der Nacht zuvor ein amerikanischer Soldat getötet und ein weiterer verwundet wurde. Zum Glück konnte dieser Überlebende den Vorfall aufklären und noch Schlimmeres verhindern. Die zuvor zusammengetrieben Einwohner durften zum Glück wieder nach Hause. Die Frauen befürchteten bereits, dass keiner mehr lebend zurückkommen wird.
Für Crawinkel gilt daher im besonderen Maß die Zeile: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“. Wir sollten daher alles daransetzen, dass Niemand solche Tage und Nächte je wieder erleben muss und der Frieden erhalten bleibt. Heute wird leider das Schicksal von Crawinkel durch verschiedene Jonastal-Märchenonkel zur Verteidigungsschlacht um das Jonastal, Schätze und Wunderwaffen verklärt und aus Geschichte werden Geschichten. Dabei ist nachvollziehbar und nachweisbar, warum Crawinkel verteidigt wurde und wie ungeordnet und überstürzt der Rückzug der Deutschen Wehrmacht erfolgte über einen der letzten „Brückenköpfe“ der Region in Richtung Süden. Eine zusätzliche Erklärung für den unverhältnismäßigen Einsatz von Bomben und Geschossen könnte darin begründet sein, dass Crawinkel direkt für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestraft wurde, die sich den amerikanischen Einheiten im Häftlingslager Ohrdruf ab dem Abend des 4. Aprils 1945 auf dem Appellplatz, in der Totenbaracke, am Scheiterhaufen und am Massengrab darboten. Was dort amerikanische Einheiten an Grausamkeiten vorfanden, hatten sie bis dahin noch nie gesehen und ebenfalls tief und nachhaltig schockiert.
Klaus-Peter Schambach
Quellen: Zweiter Weltkrieg um Crawinkel - Heimatgeschichtliche Beiträge von Dankmar Leffler, Zeitzeugenaussagen u.a. von Marianne Ballenberger und Irmtraud Böttner