Im Jonastal zwischen Crawinkel und Arnstadt mussten zum Ende des Zweiten Weltkrieges Tausende Zwangsarbeiter unter großem Zeitdruck 25 Stollen in den Muschelkalk vortreiben. Die Arbeits- und Überlebensbedingungen waren bei diesem Bauvorhaben besonders schlecht. Der 2. April 1945 gilt als der Tag des Abbruchs der Arbeiten. Einen Tag später wurde überstürzt die Auflösung der Häftlingslager S III vorangetrieben und die Todesmärsche in der Region begannen mit dem Ziel Buchenwald. Ein letztes Mal mussten gegeben falls einige Häftlingskommandos am Ort ihres größten Martyriums vorbeimarschieren. Ab dem 7. April versteckten sich in den Stollen unter anderem Einwohner aus Crawinkel, deren Wohnort ab da fast ununterbrochen unter Beschuss stand. Am 10. April 1945 besetzten amerikanische Soldaten Arnstadt, in der Nacht zum 11. April Crawinkel und in wenigen weiteren Tagen ganz Thüringen.
Heute findet am 6. April 2019 die jährliche Gedenkveranstaltung am Jonastal Denkmal statt. Die Landrätin des Ilmkreises Frau Petra Enders sowie die GTGJ laden anlässlich des „74. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers SIII“ ein und haben ein angemessenes Programm vorbereitet. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken.
Leider scheint es derzeit nicht möglich zu sein, alle insbesondere ernsthaft an der Geschichte der Jonastalbaustelle Interessierten an einen Tisch zu bekommen. Es hat eine gewisse Jonastalmüdigkeit eingesetzt, die vor allem an verschiedenen Interessen, Schwerpunkten und fehlendem Vertrauen liegt. Probleme in der Interkommunikation und im Datenaustausch geben Märchenerzählern und Schatzsuchern zu viel Platz für immer neue Gerüchte, Fälschungen oder falschen Spuren. Das 1. Bratwurstmuseum zog in der Vergangenheit mehr Besucher an und der Umzug des Museums nach Mühlhausen sorgte für mehr Aufsehen und Aufregung als die schrecklichen Ereignisse vor unserer Haustür. Auch nach 74 Jahren werden heute die wichtigsten Fragen nicht ausreichend beantwortet.
Warum wurden 20.000 Häftlinge aus verschiedenen Konzentrationslagern in das grüne Herz von Deutschland in die Nähe von Ohrdruf und Arnstadt verschleppt?
Warum stehen wir zu Gedenkveranstaltungen seit 1958 immer noch nur vor einer unscheinbaren Stele und verschlossenen Stollen?
Warum gibt es auch nach 74 Jahren kein angemessenes Dokumentationszentrum direkt im Jonastal mit abgesichertem Stollenzugang für eine umfassende Aufklärung, Erinnerung und Mahnung?
Wann werden die Massengräber und Gedenkstätten am Rande des Standortübungsplatzes Ohrdruf frei zugänglich?
Warum wird die Geschichtsaufarbeitung in unserer Region größtenteils nur privaten Initiativen und Geschichtsvereinen mit kleinen Budgets überlassen?
Aus meiner Sicht kommen die Stadt, der Landkreis, das Land und der Bund ihrer Verantwortung noch nicht ausreichend genug nach, um im Jonastal Interessierte und Angehörige von Opfern ausreichend und gleichwertig zu anderen Dokumentationszentren in Deutschland über die Hintergründe zu informieren. Da die Häftlingslager und Bauvorhaben nicht vor der Kreisgrenze halt machten, vermisse ich auch eine kreisgrenzen überschreitende Interessengemeinschaft und Zusammenarbeit zwischen dem Kreis Gotha und dem Ilmkreis. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändern wird.
Anfang 1945 spürten die Menschen in Thüringen die Auswirkungen des Krieges deutlich. Sirenengeheul, Bombenangriffe, Ströme von Flüchtlingen aus dem Osten und von Evakuierten aus dem Westen. Zehntausende von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern mussten in unterirdischen Stollensystemen in Thüringen in der Rüstungsproduktion arbeiten. Ab November 1944 entstand im Jonastal zwischen Crawinkel und Arnstadt ein Stollensystem über dessen Hintergründe bis zur Gegenwart immer wieder neue Gerüchte gestreut werden. Am einfachsten funktioniert das, wenn man die nachweisbaren Fakten und vorliegende Forschungen einfach ignoriert. Übrig bleibt dann ein Dickicht aus neuen Theorien, „todsicheren“ Stellen für Schatzsucher und Zeitverschwendung. So dient regionale Geschichte heute oft leider nur noch der Unterhaltung und kommerziellen Ausschlachtung, was aber nicht länger so bleiben muss. Allerdings ist dies vermutlich einer der Hauptgründe für die aktuelle und scheinbare Resignation bei der Forschung.
Dem Leiden und der Ermordung Tausender Zwangsarbeiter wird bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und der geplante Bau einer gedeckten Führungsstelle im Bergesinneren für die politische und militärische Führung des Dritten Reiches zum Mysterium des technologischen Fortschritts und für Wunderwaffen verklärt. Die militärischen Vorgänge auf dem Truppenübungsplatz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges werden ignoriert und fantastische Geschichten in die ehemaligen Stollen des Jonastals kolportiert. So kam es, dass das Jonastal heute weit über die Grenzen von Thüringen hinaus leider einen zweifelhaften Ruhm bekam.
Der Waffenstillstandswaggon, in dem am 11. November 1918 Deutsche und Franzosen die Beendigung der Kampfhandlungen vereinbarten, wurde danach gleichzeitig Symbol für den Sieg auf der einen und das Symbol für die Niederlage und so genannte Schmach auf der anderen Seite zweier europäischer Nachbarn. Am 21. Juni 1940 mussten Regierungsvertreter Frankreichs im gleichen Eisenbahnwaggon die erneuten, dieses Mal entgegengesetzten Waffenstillstandsbedingungen des Deutschen Reiches in Empfang nehmen. Der Waggon wurde danach als Kriegsbeute nach Berlin verbracht und ging am Ende des Zweiten Weltkrieges auf seine letzte Fahrt in Richtung Thüringen in die Nähe des Jonastals. Unsere Heimat wurde vom nationalsozialistischen Regime als ein letztmögliches Rückzugsgebiet vor den alliierten Armeen vorbereitet. Mitte April 1945 wurde der Waffenstillstandswaggon, der als der berühmteste Eisenbahnwaggon der Welt bezeichnet wird, im Wald zwischen Crawinkel und Ohrdruf zerstört. Der letzte Bahnhof für den Waggon kann kein Zufall gewesen sein.
Klaus-Peter Schambach